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Von Gut und Böse

Eine der Kernaussagen von C.G. Jungs Arbeit ist die Notwendigkeit der Selbsterkenntnis und des Bewusstwerdens im Gegensatz zum weit verbreiteten Unbewusstsein, dass sich oft als Quelle des Bösen ergibt, ohne notwendigerweise von Boshaftigkeit getrieben zu sein.

Dieses Unbewusstsein ist die Ur-Sünde, das Böse schlechthin

In diesem Unbewusstsein (für die eigenen Möglichkeiten zum Guten wie zum Bösen) lassen wir uns schnell hinreißen zu einem Polarisierten denken zwischen dem “Wir” (selbstverständlich die Guten) und den “Anderen”.

Jetzt stellen wir uns alle mal vor, der andere könnte vielleicht auch Recht haben

Volker Bouffier

Das Bewusstsein über Gut und Böse

Was ist Böse und welche Taten sind Böse? - Ich erinnere mich an dieser Stelle an das Werk Jenseits von Gut und Böse in dem Nietzsche erörterte inwiefern wir Handlungen nach ihrer Wirkung (wie in der vormoralischen Zeit) oder aber nach ihrer Absicht zu beurteilen sind.

Im modernen Denken neigen wir nach wie vor dazu Taten auf Basis der zugrunde liegenden Absicht zu beurteilen - man denke an Sätze wie: “war doch gut gemeint” - die Problematik sehe ich persönlich darin, dass Menschen mit besten Absichten die größten Verbrechen begehen können. Wir haben eine Verantwortung nicht nur für unsere bewussten Gedanken, sondern auch dahingehend unsere unbewussten Antriebe zu erforschen und die Folgen unserer Taten einzuschätzen und zu verantworten.

Auch Jung sieht in der Unbewusstheit, wie zuvor zitiert, eine der größten Quellen der in ihrer Auswirkung bösen Taten:

Vieles nämlich, was sich in seiner Auswirkung als abgrundtief böse erweist, stammt keineswegs aus einer entsprechenden Bosheit des Menschen, sondern aus Dummheit und Unbewusstheit.

Das Motto einer erneuerten Moral nach Jung:

Mensch, wenn du weißt, was du tust, bist du selig, wenn du es nicht weißt, bist du verflucht und ein Übertreter des Gesetzes.

Lukas 6,5

Gibt es das Böse? Die Lehre der privatio boni

Jung spricht sich gegen die Lehre der Privatio Boni aus, wonach das Böse nicht per se existiert, sondern es sich dabei lediglich um ein vermindertes Gutes handelt - dafür führt er u.a. folgendem Argumente an:

Gut und Böse sind nicht definierbar

Man redet zu mir über das Böse und das Gute und setzt voraus, ich wüsste, was das sei. Ich aber weiß es nicht. Wenn man von dem Guten oder Bösen spricht, so ist es von dem, was ein Mensch gut oder böse nennt, was er als gut oder böse empfindet. Er spricht dann mit großer Sicherheit darüber, ohne zu wissen, ob das wirklich so ist und ob das, was er gut oder böse nennt, sich mit der Sache auch wirklich deckt.

Der Ursprung des Bösen? Über die Dunkelheit Gottes

Jung kämpft mit dem Verständnis, dass Gott ausschließlich gut sei:

Hiob

Dafür erörtert er den Kampf Hiobs mit seinem Schicksal und Gott:

Das ist wohl das größte an Hiob, dass er angesichts dieser Schwierigkeit nicht an der Einheit Gottes irre wird, sondern klar sieht, dass Gott sich im Widerspruch mit sich selbst befindet, und zwar dermaßen total, dass er, Hiob, gewiss ist, in Gott einen Helfer und Anwalt gegen Gott zu finden. So gewiss ihm das Böse, so gewiss ist ihm auch das Gute in Jahwe.

Sein Gottesbild beinhaltet somit beides, das vollkommen gute, wie auch das was wir als böses betrachten:

Wäre der Mensch tatsächlich Ursprung alles Bösen, so würde seine Macht der des Guten und damit Gottes gleichkommen oder annähernd gleichkommen.

Nur die Erkenntnis deiner Finsternis führt dich ins Licht

Wenn ein Baum in den Himmel wächst, reichen seine Wurzeln bis in die Hölle hinunter

Nietzsche

Carl Jung referenziert den Philosophen Jacob Böhme:

Wir werden weder der Natur im Allgemeinen, noch unserer menschlichen Natur gerecht, wenn wir das Übermaß des Bösen und des Leidens verleugnen und die Augen vom grausamen Aspekt der Schöpfung abwenden.

Es ist erforderlich das wir alle Möglichkeiten unserer Natur begreifen - nur zu dem Grade in dem wir unser Potential zum Bösen begreifen, können wir wirklich Gut sein.

Wer also eine Antwort haben will auf das heute gestellte Problem des Bösen, der bedarf in erster Linie einer gründlichen Selbsterkenntnis, d.h. einer bestmöglichen Erkenntnis seiner Ganzheit. Er muss ohne Schonung wissen, wie viel des Guten er vermag und welcher Schandtaten er fähig ist, und er muss sich hüten, das eine für wirklich und das andere für Illusion zu halten.

Wir müssen auch unsere vermeintlich besten Taten zu hinterfragen wissen und dürfen dem Stolz keinen Raum gewähren.

Unglücklicherweise gibt es keinen Zweifel an der Tatsache, dass der Mensch im Ganzen genommen weniger gut ist, als er sich einbildet oder zu sein wünscht.

Dem Gewissen folgen

In der Regel gehorcht man seinem Gewissen aber nur bis zu einer bestimmten Grenze, die nämlich durch den Sittenkodex von vorneherein gegeben ist. Sobald es nämlich nicht mehr vom Moralkodex gestützt ist, erleidet das Gewissen leicht einen Schwächeanfall.

Wichtig ist, zweifelsohne, dass wir eine gute Gesetzgebung haben. Jedoch erinnert uns die Vergangenheit daran, dass einige der größten Verbrechen der Geschichte vor dem damalig geltenden Gesetz legal waren. Wir dürfen uns bei unseren Taten also nicht darauf ausruhen, dass wir nicht gegen Recht verstoßen.

Dostojewski sagte einst sinngemäß - Wir erfinden und stützen uns auf die Gesetze, damit wir trotz unserer Gräueltaten ruhig schlafen können.

Geheimnisse und Lüge

Sobald es dem menschlichen Geiste gelungen war, die Idee der Sünde zu erfinden, entstand das psychisch Verborgene, in analytischer Sprache: das Verdrängte. Das Verborgene ist Geheimnis. Der Besitz an Geheimnissen wirkt wie ein seelisches Gift, das den Träger des Geheimnisses der Gemeinschaft entfremdet.

Der größte Sünder ist der, der sich für gerecht hält

Nur Unbewusste und Kritiklose können sich einbilden, in einem dauernden Zustande des moralischen Gutseins zu verharren.

Ohne gründliche Kenntnis des “Guten und Bösen” des Ich und des Schattens, gibt es keine Erkenntnis des Selbst, sondern höchstens eine gefährliche Identifikation damit.

Hierzu stimmt auch folgendes Zitat von Dietrich Bonhoeffer mit ein:

Erscheint mir meine Sünde noch irgendwie im Vergleich zu Sünden anderer geringer, weniger verwerflich, dann erkenne ich überhaupt noch nicht meine Sünde. Meine Sünde ist notwendig die allergrößte, die allerschwerste und verwerflichste. Für die Sünden der Anderen findet ja die brüderliche Liebe so viele Entschuldigungen, nur für meine Sünde gibt es gar keine Entschuldigung. Darum ist sie die schwerste. Bis in diese Tiefe der Demut muss hinab, wer dem Bruder in der Gemeinschaft dienen will. Wie könnte ich auch dem in ungeheuchelter Demut dienen, dessen Sünde mir ganz ernsthaft schwerer erschiene als meine eigene. Muss ich mich nicht über ihn erheben, darf ich denn für ihn noch Hoffnung haben? Es wäre geheuchelter Dienst. „Glaube nicht, dass du einen Schritt weiter gekommen bist im Werke der Heiligung, wenn du es nicht tief fühlst, dass du geringer bist als alle anderen“ (Thomas a Kempis).

Dietrich Bonhoeffer


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